„Wir müssen die Ärmel hochkrempeln – jetzt und heute“

Wissenschaft erleben in der Experimenta

Mit dem Haikutter steuerte er monatelang durch die eisige Arktis. Er sammelte auf der „Ocean-Change“-Expedition Belege für immer schneller fließende Gletscher und schoss aufrüttelnde Bilder der dramatisch tauenden Eisdecke. Arved Fuchs, Polarforscher und absoluter Naturfan, hat die Warnsignale des Klimawandels in Grönland zuletzt wieder hautnah erlebt. Auf 286 Milliarden Tonnen beziffern Forscher laut dem „Spiegel“ die Eismenge, die die größte Insel der Welt pro Jahr verliert – fast die sechsfache Wassermenge des Bodensees. Alle tragen einen Teil zum Klimawandel bei, mahnte Fuchs bei einem Vortrag im Heilbronner Bildungscampus, wo er auf Einladung der Experimenta sprach. Im Interview mit Carsten Friese erklärt Fuchs, wie dringend ein Umsteuern ist – und warum er trotz aller Drohszenarien optimistisch ist, dass wir Menschen die Wende noch schaffen können.    

Polarforscher Arved Fuchs ruft beim Blick auf den Klimawandel zum aktiven Umsteuern auf

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Die Forschergruppe um Arved Fuchs vergleicht auch mit alten Bildern den Schrumpf-Prozess von Gletschern. Der Eisspiegel, der Sonnenlicht direkt in den Weltraum zurückwirft, „wird löchrig“, sagt Fuchs. Die Arktis erwärmt sich deshalb doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Fotos: Arved Fuchs

Was war das nachhaltigste oder erschütterndste Klima-Erlebnis auf Ihrer jüngsten Expedition in die Arktis?

Arved Fuchs: Das Dramatische ist: Dort, wo wir heute zum Beispiel in Grönland mit dem Schiff hinfahren, wären wir vor 15 Jahren niemals hingekommen, weil ein dichter Packeisgürtel davorlag. Dieses Packeis ist im Sommer verschwunden. Es ist klimageschichtlich nicht mal ein Wimpernschlag – und die Landschaft ist völlig verändert in einigen Bereichen, weil einfach das Eis fehlt.

Was ist in der Arktis die größte Gefahr?

Fuchs: Sie ist insgesamt gefährdet. Der Permafrostboden taut auf. Das betrifft Menschen, Tiere und Pflanzen gleichermaßen. In Regionen, die früher als Wüste deklariert waren, gibt es plötzlich Gewitter und Wolkenbrüche. Es gibt in Regionen, wo es nicht mal Moskitos gab, plötzlich Insekten, die sich auf das von Menschen aufbewahrte tierische Trockenfleisch setzen und es dann verderben. Ganze Siedlungen rutschen ab, weil der Boden auftaut – es ist eine Region, die im Umbruch ist – und zwar schneller als in anderen Regionen der Welt.
   

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Mit einem kleinen Haikutter ist Fuchs auf seinen Reisen unterwegs. Damit dringt er heute in der Arktis in Bereiche vor, die vor einigen Jahren noch dicht vom Packeis des Meeres bedeckt waren. Hier liegt das Schiff vor dem Ende des grönländischen Thryms-Gletschers.

Wieso passiert es dort in rasantem Tempo?

Fuchs: Das Eis im arktischen Ozean ist ein ganz wichtiges Regulativ. Es wirkt wie ein gewaltiger Parabolspiegel und wirft mehr als 90 Prozent der Sonneneinstrahlug wieder ins All zurück. Wenn der Spiegel löchrig wird, dann wird die Sonnenergie nicht mehr reflektiert, sondern vom Ozean absorbiert. Die Folge ist, dass es deutlich wärmer wird. Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Sie ist eine Art Frühwarnsystem der Natur.

Die Politik bewegt sich mit Blick auf den Klimawandel sehr zäh. Warum sind Sie dennoch hoffnungsvoll, dass die Menschen das Ruder noch herumreißen können?

Fuchs: Ich bin ein notorischer Optimist. Wäre ich das nicht, könnte ich solche Projekte nicht machen. Pessimismus führt immer in die Sackgasse. Wir brauchen Optimismus, und es gibt auch Grund dazu. Wir haben ein Problem und können es lösen – aber wir müssen die Ärmel hochkrempeln und es jetzt und heute tun. Wenn nicht, können beim Klima Kettenreaktionen in Gang kommen, die sich unserer Kontrolle entziehen.

Was haben Sie Hoffnungsvolles erlebt?

Fuchs: Den positiven Geist der Menschen zum Beispiel auf Island, Grönland oder den Färöer-Inseln. Sie gehen mit einer positiven Einstellung daran, etwas zu verändern und auf das Problem Klimawandel zu reagieren.

Wie denn?

Fuchs: In Island gibt es ein Projekt, das C0² aufspaltet und dann Methanol produziert wird. Auf den Färöer-Inseln steht die Bevölkerung dahinter, dass bis 2030 alle Energie aus erneuerbaren Quellen kommen soll. Wir als Industrienationen stehen da natürlich auch in der Pflicht. Das Potenzial an erneuerbaren Energien ist weltweit viel größer als wir tatsächlich benötigen.

Was könnte jeder von uns tun, um einen Beitrag für mehr Klimaschutz zu leisten?

Fuchs: Man muss sich bewusst machen, dass jeder ein Teil des Problems ist. Ich habe auch einen C0²-Abdruck, der nicht gering ist. Ich versuche ihn zu reduzieren, wo immer es irgend geht. Ich fliege im Inland so gut wie gar nicht mehr, sondern fahre mit der Bahn. Ich habe Fleisch reduziert, nehme Tupperdosen in den Supermarkt mit und benutze keine Plastiktüten mehr.
   

Wissenschaft erleben in der Experimenta

Im Rahmen der Robert-Mayer-Lectures bringt das Science Center Experimenta regelmäßig hochkarätige Wissenschaftler und Experten nach Heilbronn. Im ersten Halbjahr 2020 stehen die Vorträge unter dem Thema Biodiversität. Sechs Referenten gehen der Frage nach, wie wir die biologische Vielfalt auf unserer Erde bewahren können. Die Vorträge im Einzelnen finden Sie online im Veranstaltungskalender unter www.experimenta.science. Die Anmeldung erfolgt per E-Mail unter buchung@experimenta.science, der Eintritt kostet in der Regel drei Euro.

Zur Person

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Arved Fuchs (66) absolvierte nach der Schule ein Studium der Schiffsbetriebstechnik und brach 1977 zu seiner ersten Expedition nach Quebec (Kanada) auf. Mit Hundeschlitten durchquerte er unter anderem Grönland. 1989 erreichte er als erster Mensch sowohl den Nordpol als auch den Südpol in einem Jahr. Früh dokumentierte er den Klimawandel. Ab 2015 startete er die Ocean-Change-Expeditionen. 2017 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Ehefrau in Schleswig-Holstein.