Ein zweischneidiger Weinherbst

Spritziges

Fotograf Roland Schweizer hat ein Auge für seine Heimat, wie dieser Blick übers Weinsberger Tal und den Breitenauer See zeigt. Foto: Roland Schweizer

Von Kilian KrauthNach einigen Wetterkapriolen mit etwas Frost, Trockenheit und Trauben-Sonnenbrand rechnen die Württemberger Wengerter mit sehr gutem, aber 25 Prozent weniger 2019er Wein als im großen Vorjahr. In ganz Europa fällt die Ernte diesmal klein aus.Auf dem Amalienhof bei Beilstein begann die Ernte mit dem früh reifen Wildmuskat schon am 3. September, rund zwei Wochen später als im heißen Vorjahr, aber trotzdem zehn bis 14 Tage vor den meisten anderen Betrieben. Richtig los legten die Leseteams in der Heilbronner Weindorfwoche, also Mitte September, so wie es sich mit der Klimaerwärmung in den letzten Jahren eingespielt hat.   

Qualität des 2019ers ist vielversprechend – Menge liegt 25 Prozent unter dem Vorjahr

Nach vier, fünf Wochen und einigen Wetterkapriolen legte in der zweiten Oktoberwoche der Großteil der Winzer in Hohenlohe, Heilbronner Land und Kraichgau die Schere aus der Hand.

Die Qualität ist top. Die durchschnittlichen Mostgewichte liegen fast durch die Bank im Spätlesebereich: Riesling 86 Grad Oechsle, Schwarzriesling 90 Grad, Spätburgunder 89 Grad, Trollinger 77 Grad und Lemberger 86 Grad Oechsle. Die im Vergleich zum Vorjahr höheren Säurewerte lassen laut WZG-Kellermeister Bernhard Idler „fruchtige und spritzige Weine“ erwarten. Mehr als ein Wermutstropfen: Die Menge liegt 2019 weit unter den Erwartungen.

Zum Herbstfinale zog der Baden-Württembergische Genossenschaftsverbands BWGV) Mitte Oktober eine zweischneidige Herbstbilanz. Laut Präsident Roman Glaser und WZG-Chef Dieter Weidmann rechnen die 36 Weingärtnergenossenschaften (WG) in Württemberg mit einer Ausbeute von rund 63,5 Millionen Litern, also 25 Prozent weniger als im Vorjahr. Der Ertrag liege – mit regionalen Unterschieden – bei nur 85 Liter pro Ar. Die WGs decken 70 Prozent der 11400 Hektar Gesamtrebfläche in Württemberg ab. Hochgerechnet aufs ganze Gebiet sei 2019 mit nur 91 Millionen Liter Württemberger zu rechnen. Schuld daran ist das Wetter.
   

Das Vegetationsjahr war turbulent: Nach einem eher gemäßigten Jahresbeginn und einem warmen März trieben die Reben im April relativ früh aus, berichtet BWGV-Beraterin Ute Bader aus Horkheim. Der kühle Mai – teils gab es Spätfröste – bremste die Entwicklung, so dass die Blüte der Trauben erst um den 20. Juni abgeschlossen war. Im Sommer gab es teils schwere Gewitter, kaum Hagel, aber Rekordtemperaturen von 40 Grad Celsius, wodurch manche Trauben „Sonnenbrand bekamen oder am Stock regelrecht verdampften“, berichtet Ute Bader. Gleichwohl blieben die – kleineren und teils natürlich ausgedünnten – Trauben, größtenteils gesund und hätten selbst den oft starken Regen der letzten Lesetage gut überstanden.

Laut Deutschem Weininstitut (DWI) liegt die bundesweite Ernteschätzung bei 8,4 Millionen Hektolitern, also 19 Prozent unter der hohen Vorjahresmenge und vier Prozent unter dem zehnjährigen Mittel von 8,8 Millionen Hektolitern.

Europaweit rechnen die Winzer mit einem kleineren Jahrgang. Nach einer ersten Ernteschätzung der EU-Kommission wird sich die Erntemenge 2019 auf 161,3 Millionen Hektoliter belaufen, was einem Minus von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr und vier Prozent im Vergleich zum fünfjährigen Mittelwert entspricht. Die größten Weinerzeugerländer Europas, Italien (46,14 Millionen hl), Frankreich (43,36 Millionen hl) und Spanien (40 Millionen hl), steuern 80 Prozent der Ernte bei.
  

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Bei der Weinshow gibt es auch Seminare, zum Beispiel über Sekt. Was traditionelle Flaschengärung heißt? Vereinfacht ausgedrückt dies: Den Grundweinen werden Gärhefe und Zucker zugesetzt. Kurz darauf werden sie in Flaschen gefüllt und mit Kronkorken verschlossen, wo sie über die zweite Gärung in gut sechs Wochen Kohlensäure mit sechs Bar Druck entwickeln. Danach bleiben die Flaschen – je kürzer, desto fruchtiger – ein bis sechs Jahre liegen.
   

Dann wandern sie aufs Rüttelpult, wo sich nach drei Wochen die Hefe im Flaschenkopf absetzt, so dass sie geeist als Pfropf entfernt wird. Danach wird je nach Gusto Traubenzucker-Dosage hinzugegeben, alles fest verkorkt und verdrahtet. Was dabei rauskommen kann, zeigt ein Muskateller der Gellmersbacher Sekt- und Weinmanufaktur Horst Stengel. Der famose Schaumwein zeigt eine sehr feine Perlage. Er ist außergewöhnlich fruchtig mit blumigen Aromen und wirkt spritzig, frisch. Ein für Sekt und Bukettsorten bekannter Betrieb ist die Erlenbacher Weinkellerei Klaus Keicher. Er empfiehlt uns eine Rarität: einen Sauvignonblanc-Sekt. Die Trauben der würzigaromatischen Sorte liefern die perfekte Grundlage für einen frischen, eleganten Sekt mit fruchtigedlem Aroma, feiner Perlage und zartem Schmelz. Beim aktuellen Sekt-Sonderpreis des Deutschen Weininstitut (DWI) wurde er Gewinner unter den Bukettsorten.
  

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Das Ökologische Weingut Schäfer-Heinrich aus Heilbronn besticht mit einem Riesling Crémant von der fein-cremigen, zart-moussierenden Art mit anregender Säure und ausgereiften Rieslingaromen. Riesling schmeckt bekanntlich auch als Stillwein fein: Der „Sandstein“ aus dem Erlenbacher Weingut Martin Schropp ist ein frischer, fruchtiger Sortenvertreter mit feinen Aromen von Apfel und Zitrone, gepaart mit belebender Säure und Würze sowie angenehmem Trinkfluss, Länge und Nachhall. Nicht von schlechten Eltern ist der Triebwerk-Riesling aus dem Jungwinzerprojekt der Genossenschaftskellerei Heilbronn. Durch den konzentrierten Extrakt hochreifer Beeren ist ein kraftvoller und vielschichtiger Wein mit eleganter Mineralität und ausgewogener Säure entstanden. Schonende Verarbeitung, behutsame Gärung in Edelstahl und Holz, teils mit Weinberghefen, führten zu hoher Komplexität und großem Genusspotenzial. Ein Wein, der der Königin der Weißweinsorten Ehre macht.
   

Auslese

Was könnte ein Uhudler sein, was ein Brünnerstrassler? Gibt es dort überhaupt Rotwein? Wo liegt denn das Korea? Im Weinland Österreich kann man ganz schön viel entdecken. Sachkundig, unterhaltsam, voller Begeisterung und zugleich voller Respekt: so stellen die profunden Weinexpertinnen Daniela Dejnega und Luzia Schrampf in der Emons-Reihe 111 ausgewählte Weine aus Österreich vor. Mit Infos zu Lage, Anbau und Bouquet präsentieren sie einen genüsslichen Überblick über die Vielfalt der Weinlandschaft und Winzerszene, bis hin zu Youngsters und Newcomer. Das von Tobias Fassbilder bebilderte Buch macht Lust auf Entdeckungen, lädt ein, sich auf neue Rebsorten einzulassen und unbekannte Tropfen zu probieren. Daniela Dejnega und Luzia Schrampf: 111 Weine aus Österreich, die man getrunken haben muss, mit Fotografien von Tobias Fassbinder, Emons Verlag 2019, 240 Seiten, 16,95 Euro.

Jedes Jahr aufs Neue – und in dieser Art einmalig – nimmt Hugh Johnson aktuelle Jahrgänge unter die Lupe, die sich zum Kauf, zum Genuss oder zum Einlagern lohnen. Er erklärt auch, warum man welche Winzer im Auge behalten muss. „Der Kleine Johnson“ ist ein verlässliche Berater für Genießer und ein Nachschlagewerk für Weinsammler, -freunde, -liebhaber und -profis. In dieser Ausgabe gibt es ein Spezial über Veränderungen durch Klimawandel und gewandelte Weinge schmäcker. Lange kam Württemberg etwas zu kurz. Inzwischen werden aber neben einigen Traditionsgütern wie Adelmann, Neipperg, Aldinger auch Jungwinzer und der Lemberger wahrgenommen. Dies dürfte nicht zuletzt dem vom Bodensee stammenden Co-Autor Ulrich Sautter zuzuschreiben sein. Hugh Johnson gilt weltweit als der führende Weinautor und wurde entsprechend mit Auszeichnungen bedacht. Hugh Johnson: Der Kleine Johnson 2020, 460 Seiten, Hallwag, 19,99 Euro

Es gibt Menschen, die innerhalb von Sekunden aus einem Schluck Wein die Rebsorte, die Anbauregion, das Weingut und den Jahrgang herausschmecken. Als Bianca Bosker eher zufällig von der Olympiade für Sommeliers hört, ist sie sofort fasziniert von deren geschmacklichem Können. Sie kündigt ihren Job und heftet sich ein Jahr an die Fersen der renommiertesten Weinkenner, um ihre Kunst zu erlernen. Als Leser erfahren wir im Zuge ihres Abenteuers, wie wir unseren Geschmackssinn mit Weinverkostung schulen können, was Orangensorten damit zu tun haben, wann Wein nach Sattelleder schmeckt und dass Flaschenpreise von über 50 Euro kein Indikator für Qualität sind. Ein Lesevergnügen für alle Weinkenner und solche, die es werden wollen. Bianca Bosker: Das große Weinmaleins – Weintrinken will gelernt sein, übersetzt von Viola Krauß, Piper, 416 Seiten, 16 Euro