Es war nicht immer alles Audi

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Die ersten Autos von NSU waren revolutionär im Design und in der Technik. Ihre Macher wagten sich an die Grenzen des Machbaren. FOTOS: Zweiradmuseum

Die deutsche Automobilbranche hat es zurzeit nicht leicht. Technologiewandel, der SUV-Trend und die wachsende Konkurrenz aus Asien machen den Konzernen zu schaffen. Auch Audi leidet – und die Auslastung des Neckarsulmer Werks wird sich auf absehbare Zeit nicht verbessern, nachdem es mehr als zwei Jahrzehnte lang beinahe nur aufwärts gegangen war. Zwei Jahrzehnte, die sich anfühlen wie eine Ewigkeit. Fasst man den Blick aber etwas weiter, wird schnell deutlich, dass die Entwicklung der Autobranche in der Region nie geradlinig war.„Audi NSU muß leben“ lautete der Slogan der Belegschaft der Autofabrik in Neckarsulm, die damals noch ein Zweigwerk in Heilbronn hatte. Der gesamte Werksbereich einschließlich der Getriebefabrik in Neuenstein (heute Magna) stand zur Schließung an. Damals waren es Managementfehler, aber vor allem externe Faktoren, die den gesamten VW-Konzern an den Rand des Kollapses gebracht hatten – das Aus für das erst wenige Jahre zuvor zugekaufte Werk, das sich überdies baulich und strukturell in einem schlechten Zustand befand, sollte einen Teil der Probleme lösen. Es gibt durchaus Parallelen zu heute: Erneut ist die Branche mitten in einer Konsolidierungswelle, und auch damals ging es um einen möglichen Wandel in der Antriebstechnologie.  

Die Mobilitätsindustrie in der Region hat eine Wechselhafte Geschichte und Musste sich immer wieder neu erfinden

NSU hatte sich mit der Entwicklung des Wankelmotors, der Ro 80 Limousine und des K 70 hoffnungslos übernommen. Nicht, dass die Produkte schlecht gewesen wären, den Ro 80 zu fahren, ist heute noch ein Vergnügen. Die erste NSU-Limousine war ein unglaublich cooles Auto, aber finanziell ein Desaster. Bei allen Problemen, die es heute gibt: Der Standort ist viel stabiler als damals, als die Schließung des Werks ja schon beschlossene Sache war.
 

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Damals sorgte ein Verbrennungsmotor für Ausdauer und Geschwindigkeit.

ARBEITSPLÄTZE

Die legendäre Demo folgte auf eine Entscheidung, die das Werk Neckarsulm rettete. Damit ist aber ein massiver Personalabbau einhergegangen. Der trieb die Menschen damals auf die Straße – die Geschlossenheit der Region machte Eindruck in Wolfsburg. Kollegen aus dem Heilbronner Zweigwerk marschierten gemeinsam mit ihren Neckarsulmer Kollegen. Ihre Fabrik wurde tatsächlich geschlossen. Und Tausende Arbeitsplätze gingen damals verloren.

Der Marsch auf Heilbronn hat sich tief ins kollektive Gedächtnis der Region eingegraben – es waren aber nicht immer Autos, die die regionale Geschichte der Mobilitätsindustrie prägten. Dort, wo heute Audi ist, wurden bis 1958 schließlich nur Zweiräder gebaut. Mit der Quickly ermöglichte NSU in den 1950er Jahren Hunderttausenden von Kunden den Aufstieg vom Fahrrad zur motorisierten Fortbewegung. Fox und Max waren ihre großen Geschwister. Am besten lässt sich dieser Teil der regionalen Mobilitätsgeschichte im Neckarsulmer Zweiradmuseum erleben, dort lässt sich auch der Pfeil bewundern: Nach dem sportlichen Tourenfahrrad von NSU ist der 1906 gegründete Neckarsulmer Radsportclub benannt – und bis in die 60er Jahre ging man in Neckarsulm nicht zur Audi zum Arbeiten, sondern in die Fahrrad. Schließlich zählte das Unternehmen auch einmal zu den größten Fahrradherstellern der Welt.

Verwicklungen und Fusionen gab es auch in der Fahrrad-Phase der NSU-Geschichte: So kommt es, dass in Neckarsulm auch Opel-Produkte gebaut wurden. 1936 übernahm NSU nämlich die Fahrradsparte der Rüsselsheimer. Einige Zeit lang gab es Räder mit dem Doppel-Namen.

Die industrielle Mobilitätsgeschichte Heilbronns beginnt aber noch viel früher: um das Jahr 1860, als das Auto noch gar nicht erfunden war und das Fahrrad als Draisine noch keine Pedale hatte. Die Dampflok war zur Mitte des 19. Jahrhunderts Hightech, und die Maschinenbaugesellschaft Heilbronn brachte neben stationären Dampfmaschinen und Walzen auch eine Lokomotive auf den Markt. Knapp 600 Heilbronn-Dampfloks wurden gebaut – versuchsweise auch Lokomotiven mit Benzin- und Elektromotor. Vor 100 Jahren schon stieg das Unternehmen in die Produktion von Benzinmotoren für Motorräder ein. Ein Auto der Firma kam über das Prototypenstadium nicht hinaus.

Dafür war Fiat über Jahrzehnte mit einer Automobilfertigung im Heilbronner Industriegebiet präsent, nachdem die Italiener 1927 NSU beim ersten Versuch, in die Autoproduktion einzusteigen, zu Hilfe eilen musste. Es war die erste Auslandsproduktion der Italiener, die ihre Fahrzeuge aus Heilbronn zeitweise unter der Marke NSU/Fiat verkauften. In den Hallen an der Heilbronner Salzstraße entstanden auch die Kleinwagenmodelle Neckar und Jagst, deren Namen auf ihre Heimatregion verweisen. Heute ist von Fiat neben dem ehemaligen Verwaltungsgebäude nur noch die Bank übrig, die inzwischen als FCA-Bank firmiert und zur Hälfte der französischen Großbank Crédit Agricole gehört.

ANDERE FIRMEN

Mit den Drauz-Werken und der KW Weinsberg gab es zwei bedeutende Karosseriehersteller in der Region – in der Anfangszeit der Autoindustrie machten die Hersteller die Karossen nämlich meist nicht selbst. Auch Drögmöller war ein Heilbronner Karosseriebauer, der allerdings nicht auf Autos, sondern auf Reisebusse spezialisiert war. War, denn 1994 wurde das Traditionsunternehmen an Volvo verkauft. Die Schweden machten den Standort in mehreren Schritten dicht.

Drögmöller, Drauz, KW Weinsberg, NSU, Heilbronn Maschinenbau und zahlreiche weitere Zulieferer haben den dauerhaften Strukturwandel der Mobilitätsindustrie zumindest nicht als eigenständige Unternehmen überstanden. Und doch ist die Branche weiterhin die Leitindustrie für die Region – auch wenn sie kein Selbstläufer mehr ist. Das Neckarsulmer Audi-Werk mag künftig keine 17 000 Beschäftigten mehr haben, aber Veränderungen und Umbrüche gab es auch in der Vergangenheit immer wieder in der Autoindustrie, die auch in den kommenden Jahrzehnten ein wichtiger Motor der Region bleiben wird. Bei allen berechtigten Sorgen um die Auslastung des Audi-Standorts in den kommenden Jahren steht auch fest: Das Werk Neckarsulm ist heute viel stabiler als in den 1970er Jahren.

Manfred Stockburger
  

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Neckarsulm
49.191567
9.222421

Das eigene Auto war vor 50 Jahren für viele Menschen noch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Und wenn, dann waren die Fahrzeuge zwei Nummern kleiner. Der technologische Wandel stellt erneut viele Gewissheiten infrage. Das Deutsche Zweirad- und NSU-Museum in Neckarsulm ist ein wunderbarer Ort, um über Vergangenheit und Zukunft der Mobilitätsindustrie nachzudenken. Es ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.